Architektur im Kopf

von Matthias Walther

Wien, die ewige Habsburger Kaisermetropole als ehemaliger Hauptsitz der römisch-deutschen Kaiser besitzt einige der schönsten Beispiele europäischer Baukunst. So soll es hierbei weniger um notwendige Alternativen zu bestehenden Gebäuden als um eine sinnvolle weitergedachte Stadtplanung, also um die Vollkommenheit des bereits Vorhandenen gehen.

Wesentliche Bestandteile dieser Verbesserung beziehen sich auf die bekannte Ringstraße und deren Vollendung. Deren Weiterführung über den Donaukanal bis zur Großen Donau ist auch Anliegen dieser Planungen, die durch neue Monumentalbauten begleitet wird. So möchten wir chronologisch bei der Hofburg einen Kreis entlang der Ringstraße ziehen um später auch noch andere Veränderungen in Wien und dessen Umgebung zu betrachten. Ausgangspunkt sind einerseits ein städtischer Korrekturplan des Reformers Adolf Loos sowie die Architekturideen eines unbekannteren Zeitgenossen, der sich später deutlich dem Traditionalismus verschrieb: Leopold Bauer.

Gegen den Uhrzeigersinn beginnt unser geistiger Rundgang: Die Hofburg wird im Sinne des Forum Sempers vollendet und durch einen Querflügel mit Kuppelbau überhöht, der Entwürfen Friedrich Ohmanns folgend dargestellt ist. Von der Oper ausgehend wird eine Verbindungsstraße mit Sichtachse zur Karlskirche geschaffen, der Karlsplatz als Park mit Brunnen Caféhaus neu gestaltet, die Karlskirche ist mit schmalen Begleitbauten an deren Fassaden Brunnen integriert sind, versehen. Eine barocke Gloriette dient als Blickfang an der Ostseite der Parkanlage. Dahinter könnte auch das Stadtmuseum von Otto Wagner noch Platz finden. An dem westlich abgegrenzten neuen Kaiser-Elisabeth Platz steht der Neubau der Technischen Hochschule, der Eingang zum Naschmarkt wird repräsentativ gestaltet und der ehemalige Wienfluss von Zierpappeln begleitet. Am Parkring entsteht vor dem Coburgschen Palais ein Monumentalplatz mit dem Denkmal Kaiser Franz-Josephs nach den Plänen Adolf Loos. Signifikant sind die beiden etwa 70 m hohen Türme, die die Anlage flankieren.

Es folgt der Stubenring. Die Anlage eines inneren Stadthafens mit einem gewaltigen Verkehrsministerium und Zollamtsgebäuden mit Bahnanschluss entsteht an Stelle alter Kasernen und Brachen. Demgegenüber entsteht als Pendant ein Alternativentwurf zum Kriegsministerium nach Plänen Leopold Bauers mit hohem Turmbau. Dieser Stadtraum ist gekennzeichnet durch ein Hafenbecken, in das auch der alte Wienfluss mündet. In unmittelbarer Nähe zum alten Donaukanal stellen diese Bauten mitsamt einer Klappzugbrücke den letzten Höhepunkt der Ringstraße dar, die als zeitgenössische Monumentalstraße jedoch weiter über den Fluss hinweg durch die Josephsstadt geführt wird, um in zweifachem Knick wieder an den Donaukanal am westlichen Schottenring anzuschließen. Die Lassalesstraße kreuzend wird von dort ein Geschäftsboulevard bis zur Großen Donau geführt, die mit einer neuen Hängebrücke (Reichsbrücke) überspannt wird. Dort könnte neben der -in mehreren alternativen Entwürfen betrachteten Kaiser Jubiläumskirche- am gegenüberliegenden Donauufer ein gigantisches Welthandelszentrum mit Hafen entstehen, etwa dort wo heute die Donau City sowie UNO City stehen. Der Turmentwurf in Form eines Steinbaus mit parabolisch verjüngtem Fortlauf erinnert an einen steinernen Eiffelturm und ist selbst etwa 190 m hoch.

Sich erneut dem inneren alten Donaukanal widmend betrachten wir den Donau Kai mit der Immatrikulatakirche nach dem Einfall des Architekten Rudolf Weiss, begleitet von einheitlichen modernen Arkadenhäusern. Weitere Hochhäuser entstehen im Bereich des Josephsstädtischen Rings (Augartenring) bis zum Donaukanal, um hier ein betont großstädtisches Ensemble zu versinnbildlichen. In sichtbarer Nähe erblicken wir das größte Hochhaus der Stadt von Leopold Bauer: Den Sanierungsturm mit 116 m Höhe im Mittelhof der alten Rossauer Kaserne. Der Straßenabschnitt der durch die Josefsstadt weiter geleiteten Ringstraße wird mit neuer Brücke in den Schottenring geführt. Dort entsteht ein Vorplatz mit Triumphbogen und Pylontürmen.

Wir folgen dem Schottenring stadteinwärts: Die Votivkirche wird mit dem ursprünglich vorgesehenen Vierungsturm versehen, ein nach Vorgaben Camillo Sittes erträumter großer Vorplatz konisch sich leicht zuspitzend mit Arkadenhäusern entsteht und trennt diesen heiligen Bezirk von der Ringstraße ab. Hier würde gar der schönste Platz Wiens des 19. Jahrhunderts entstehen! In der Sichtachse zur Alser Straße könnte die Österreichisch-Ungarische Nationalbank Leopold Bauers erscheinen, mit ihrem 85 m hohen Turm amerikanischer Prägung. Auch der Rathauspark sollte eine architektonische Fassung bekommen, indem die flachen klassischen Kolonnadenhäuser nach dem Plan Adolf Loos entstünden.

Zuletzt könnten kleinere Akzente in der Altstadt gesetzt werden, wie zum Beispiel den ergänzten Turmhelm der Minoritenkirche oder ein repräsentativer Neubau der Kaiserlichen Kapuziner Gruftkirche am neuen Markt. Auch ganz außerhalb der Innenstadt sind interessante Projekte aufgenommen: Ein Alternativplan Fischer von Erlachs zeigt uns was als Palais Liechtenstein auch entstehen hätte können statt dem trockenen Barockbau italienischer Art.

Unterhalb des Kahlenbergs ist als Gedächtniskirche zu den Türkenschlachten ein Kirchenbau mit vergoldeter Kuppel und hohem Glockenturm gezeigt, wie dies ähnlich tatsächlich vorgesehen war. Donauaufwärts zeigt ein Plan einen Alternativentwurf der gotischen Kirche des altehrwürdigen Stifts Klosterneuburg, dessen großartiger barocker Ausbau ohnehin rudimentär blieb und hier zumindest noch teilvollendet wird. Ein reizvoller gedanklicher Ausflug zu dem wohl bedeutendsten vergessenen Meisterwerk der Wiener Renaissance soll zum sogenannten Neugebäude unternommen werden, dessen unvollendeter Mittelteil Bestandteil künstlerischer Ausformungen ist. Nicht mehr zum Wiener Einzugsbereich zählt die interessante Wallfahrtskirche (Bergkirche) in Eisenstadt. Von den originellen Plänen ist keiner erhalten geblieben, aber unsere Phantasie führt uns einen barocken Plan eines Zentralbaus mit Axialtürmen vor Augen, der sehr entfernt auch an die Dresdener Frauenkirche erinnert.

Als Abschluss sei noch eine Planung des Stephansdoms mit den zwei vollendeten Türmen dargestellt. Es ist die erste Idealplanung Wiens. Entwürfe gingen von einem Nordturm von 140 Meter aus, wichen aber in Planungen auch deutlich ab mit bis zu 170 Metern nach neusten Erkenntnissen. Dennoch wollen wir hier das Kapitel des ungebauten Wiens abschließen, der Steffel bleibt uns als einziges markantes Symbol erhalten und der zweite Monsterturm wandert in das Reich der Architektur, die –vielleicht glücklicherweise- nicht gebaut wurde.