Architektur im Kopf

von Matthias Walther

In den kulturell sehr verschieden entwickelten Gebieten Norditaliens sollen hier gotische bis barocke Bauten aus den Städten Mailand, dem unweit entfernten Pavia, aus dem toskanischen Pisa und der Stadt Turin betrachtet werden. Gemeinsam ist den Bauten freilich nur ihre geografische Lage in Mittel- und Norditalien.

Mailand

Der Mailänder Dom ist eines der größten aber auch umstrittensten Bauwerke in Italien. Der marmorverkleidete Bau ist auch Zeugnis einer Verschmelzung nordischer und südlicher Prinzipien, der Dom ist ebenso Streitobjekt zwischen den dort tätigen Architekten italienischer, vor allem aber auch deutscher und französischer Herkunft. Auch wenn der über der Vierung errichtete kunstvolle Triburio, der Kuppelturm gelungen ist, unterblieb der Bau eines eigenständigen hohen Glockenturms. Dies soll hierbei durch einen der vielen Vollendungsentwürfe in einer Variation nach Vorlage von Architekt Hendrik Petrus Berlage nachgeholt werden. Der aufgezeigte Bau, Glocken- wie Uhrturm zugleich, sollte eine Höhe von ca. 150 Metern erreichen. Tatsächlich wurde solch ein ähnlicher Turm sogar noch in den zwanziger Jahren geplant.

Pisa

Einer der berühmtesten Türme der Welt blieb unfertig: Ursprünglich hätte der markante sehr einprägsame Rundturm an Stelle der „schiefen“ 55 Meter sogar fast 100 Meter Höhe erreichen sollen. Eine mögliche Vollendung des freilich ins Lot zu rückenden Turms soll etwa 90 Meter erreichen und durch ein steinernes Kegeldach abgeschlossen werden. Die einprägsame Gestalt des Turmes wird in den oberen Geschossen fortgeführt, das leuchtend weiße Dach gibt dem Turm noch mehr Geschlossenheit. Erst der vollendete Turm hätte dem einzigartigen Ensemble von Dom, Baptisterium und Campo Santo seine absolute Geschlossenheit verliehen, bis heute eine der schönsten heiligen Bezirke der Weltarchitektur.

Pavia

In der eher kleineren lombardischen Stadt Pavia steht einer der unbekanntesten großen Zentralbauten Italiens, der mit seiner erst im 19. Jahrhundert vollendeten Kuppel von 90 Metern Höhe sogar die drittgrößte Kuppel des Landes verkörpert. Allerdings zeigt der unproportionierte Bau von heute, als Ziegelrohbau ohne besonderen Schmuck zu Ende geführt und durch einen inzwischen durch ein Erdbeben eingestürzten Glockenturm bereichert, einen eigenartigen Gedankentorso. Der ursprüngliche Plan folgt wohl einem frühen Projekt Bramantes, das auch mit St. Peter in Rom in Verbindung steht und nur mehr vage nachvollzogen werden kann. Der überreich geplante spätere Bau, der sich ein wenig in Schmuckdetailformen zu verlieren scheint, wird hier in einem Vollendungsprojekt nach Studien des bereits alten Leonardo da Vinci aufgezeigt, wobei die Proportionen des Tambours und der Kuppelschale verbessert wurden.

Turin

Dieser Domentwurf zu einem Neubau nach Filippo Juvarra ist in Folge mehrerer Pläne des renommierten phantasievollen Architekten für die piemontesische Residenz Turin entstanden. Der mächtige Neubauentwurf ist Bestandteil umfangreicher Planungen eines Domneubaus für Turin, an dem verschiedenen Architekten beteiligt waren. Der originelle Entwurf Juvarras sollte als solitärer Zentralbau unweit des später entstandenen noch bestehenden Meisterwerks seines Konkurrenten, Guarinis, nämlich der Kirche St. Lorenzo entstehen. Bemerkenswert ist die eigenartige Umstellung der zentralen Rotunde mit acht hohen Kuppeltürmen. Die Türme und die Kuppel sind in dieser Interpretation etwas steiler und höher ausgeführt. Der Bau erinnert entfernt auch an die kongeniale Schöpfung der Dresdener Frauenkirche.