Architektur im Kopf

von Matthias Walther

Dieses einmalige Kleinod europäischer Baukunst wird durch einige gezielte Eingriffe weiterentwickelt, freilich in Bezug und mit Rücksicht auf das gelungene alte Stadtbild.
Prag ist geprägt von kulturell slawischen, deutschen und modernen tschechischen Elementen, was bei den Veränderungen berücksichtigt wird. Hervorzuheben ist die in Europa so einmalige Lage sanfter und markanterer Geländesteigerungen, die der Stadt ihr von Natur aus plastisches Gefüge verleiht und stets Anregung zu besonderer architektonischer Lösung war.

Dombau St. Veit

 

Einzigartig in Europa erhebt sich diese letzte große europäische Kathedrale einer mittelalterlichen Metropole auf einem Berg inmitten des Hradschin Palastes und scheint geradezu über der Stadt zu schweben. Die nach klassischem französischem Schema begonnene Domkirche erfuhr durch den frühzeitigen Weiterbau der Parlers und deren Nachfolger tiefgreifende, individuelle Planänderungen. Hervorzuheben ist das einmalige Stichkappentonnengewölbe an Stelle von einfachen Jochen. Äußerlich wurde der bewusst zum Stadtpanorama orientierte Turm stadtbildprägend, der aber gotisch unvollendet blieb und eine Renaissancehaube bekam. Ein Plan hat sich nicht erhalten, der Turm war aber Anregung zu Vollendung in gotischem Sinne. Entstehen sollte im 19. Jahrhundert ein dem Freiburger Münsterturm vergleichbarer hoher durchbrochener Spitzhelm wie es die Architekten Kranner und Mocker planten. Nach Ideen Kohls sollte sogar ein zweiter im Mittelalter tatsächlich nachweislich geplanter Nordturm hinzu kommen ganz nach Art des Wiener Stephansdomes. Interessant ist aber eher die freie wenig klassische –eben Parlersche– Individualität, mit der ein einziger Turm –weniger durch absolute Höhe als durch Originalität– überzeugen sollte. So ist in dem vorgeschlagenen Plan des Verfassers ein schlankes Oktogon mit Rippenkuppel und hoher Spitze erdacht, die Kuppelform sollte eine Analogie zur Frankfurter Domkirche darstellen und wie dort beim Turm die gewölbte Kaiserkrone verkörpern. Frankfurt als Stadt der Kaiserkrönung und Prag als geistig-politisches Zentrum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Außerdem passt die Kuppelform besser als Ersatz des lange vertrauten Renaissancehelmes und des insgesamt barock überformten Antlitzes der Prager Kleinseite.

Die zwei Burgpaläste Prags

 

Im Zuge dieser Turmvollendung stellt sich auch die Frage den Hradschin als Akropolis böhmischer und römisch-deutscher Reichsherrschaft neue Turmabschlüsse zu verleihen, die der ruhigen Linie des nun fast klassisch erscheinenden Palastbereichs entsprechen. Gotische und barocke Formen prägen die nun ausgebauten Türme.
Der zweite und zeitweise sogar bedeutendere Palast früherer böhmisch-tschechischer Herrschaft der Přemysliden ist der Vyscherad. Südlich der Prager Neustadt auf anderer Moldauseite. Der einst bedeutende turmreich ummauerte Palast ist fast vollständig verschwunden. Als Denkmalbereich berühmter Persönlichkeiten wurde die erhaltene gotische St. Peter und Paulskirche mitsamt einem Friedhof neugotisch ausgebaut. Anstelle der vorhandenen Türme treten etwas höhere Bauten, die seitlich der Kirche angeordnet sind. Im Gegensatz zum bescheidenen Kirchenschiff von heute erhält der Bau als Ostabschluss eine prägende Rippenkuppel mit Querkapellen und Chor, was die Würde und Wirkung der Kirche sehr steigert. Bis zu barocker Zeit bestand an jener Stelle bereits ein eigentümlicher gotischer Oktogonalanbau mit Kuppel, der später abgebrochen wurde. Die Vorliebe für solche Zentralräume insbesondere zu Zeiten Karls IV. soll nicht nur mit der nahe des Vyscherad gelegenen Karlshofer Kirche belegt werden, sondern ebenso mit der längst zerstörten Frohnleichnamskirche inmitten des Karlsplatzes der Prager Neustadt. Ein fantasievoller sternförmige Zentralbau mit hoher Spitze. Zuletzt soll noch ein Blick auf das Torso der Maria-Schnee Kirche geworfen werden, die die größte Pfarrkirche der Prager Neustadt werden sollte, aber unvollendet blieb. Der hochgotische Chor konkurriert mit dem Veitsdom, alles Weitere entspricht aber der soliden Reduktionsgotik einer stolzen Bürgerschaft. Hier werden reiche Turmspitzen als Akzent angeführt, die mit jenen der Altstädter Teynkirche korrespondieren.

Unter besonderer Vorliebe des Prager Manierismus entstand unter Ferdinand I. von Habsburg ab 1555 das charakteristische Schloss Stern als sechszackiger Bau mit sternförmigem Grundriss. Über die geplante Dachgestalt sind Entwürfe gesichert, die den ungewöhnlichen grotesken Charakter des Werks unterstreichen. Auch reichhaltige Sgraffito Malerei in denkbarem Grau-grün. Erst durch das Dach und die Malerei bekommt der heute so spartanisch und rudimentär wirkende Bau seinen beabsichtigten Glanz.

Prager Altstadt

 

Am zentralen Altstädter Ring entsteht ein Ersatzbau für das neugotische Rathaus, womit der malerische Charakter dieses Ensembles mit dem 70 Meter hohen Rathausturm und den Bestandbauten ausreichend berücksichtigt wird. Auch miteinbezogen werden sollte ein Rathaushof, von dem aus man einen freieren Blick auf die barocke St. Niklaskirche bekommt. Ganz anders agiert der motivierte Architekt Josef Gočár mit seinem mutigen konstruktivistischen Entwurf eines 100 Meter hohen Neuen Rathauses direkt neben dem alten Turm. Die 1912 entstandene expressive Idee ist faszinierend, soll aber eher in den Bereich der glücklicherweise nicht verwirklichten Bauten eingeordnet werden und den Übergang zu der tschechischen Moderne der Phase nach 1918 markieren.

Tschechoslowakisches Staatsforum an den Letna Höhen

 

Einen großen gedanklichen Sprung vollziehen wir gemeinsam bis zum Ende der Habsburgermonarchie und Österreich-Ungarns im Jahre 1918. In Prag böte sich die einmalige Gelegenheit an auf Anhöhen unweit des Zentrums aber mit respektvollem Abstand zur Altstadt und dem Hradschin ein modernes Regierungsviertel des jungen neuen CSSR Staates zu errichten. Solche Pläne gab es viele. Bereits der genial Max Urban ersann 1914 sehr weitreichende Ideen zur Erweiterung Prags, aber auch Anton Engel und Bohumil Hübschman planten auf den Letna Höhen entlang der Moldau großartiges. Entgegen den etwas starren Ministerialbauten gegenüber der Moldau und der Hetzinsel, wie dem Wirtschaftsministerium, aber auch den neuen Bauten der Karlsuniversität und dem Verkehrsministerium von Joseph Fanta könnten sich insbesondere zwei Monumente von großem Reiz auf der Anhöhe erheben. Zum einen ein Berg- Durchbruch mit ausgedehnten Treppen und Terrassenanlagen von Anton Engel, gekrönt mit einem Denkmal Libuschas, zum anderen wird unweit davon Richtung Norden ein großer Parlamentsbau zum Abschluss gebracht, der auch in axialer Blickrichtung der Revolutionsstraße aus der Altstadt vom Pulverturm aus erscheint. Angelehnt ist die Architektur des etwa 90 Meter hohen kegelartigen Kuppelbaus an Entwürfe im Stil Max Urbans und anderer. Wie eindrucksvoll der Bauplatz für Prag ausgewählt ist, sieht man in einer Ansicht aus den Kleinseitner Wrtba Gärten. Zuletzt könnte ein Veranstaltung- und Messe Zentrum an der Spitze der Hetzinsel (Štvanice) entstehen, wie es bereits Franz Roith vor 1900 erdacht hatte. Verwirklicht wird es gedanklich aber in markanten Formen des Bauhauses mit einer gläsernen Kuppel und zwei Uhrentürmen.

Fernsehturm

 

Der in konstruktivistischer Tradition stehende aber gestalterisch zerklüftete Prager Fernsehturm im Altstädter Panorama müsste sowohl vom problematischen Standort als in seiner Gestaltung eine Transformation erfahren. Als Vorschlag dient ein Entwurf, der nicht allzu weit vom technoiden Bau abweicht, aber weit bessere Formen und Proportionen aufweist und eher am südlichen Rande Nusls (Nusles) entstehen könnte, wo sich bereits seit den siebziger Jahren mehrere Hochhäuser befinden.