Architektur im Kopf

von Matthias Walther

Die historische Stadt

Die schlesische Metropole Breslau beherbergt einige bemerkenswerte Gebäude von hohem Rang, wie das Alte Rathaus am Ring, ihrem Wahrzeichen. Die aufgezeigten Entwürfe behandeln insbesondere einige markante Türme gotischer Kirchen, wie der Elisabethkirche, dem Dom oder der Sandkirche. Nach Jahrhunderten architektonischer Blütezeiten sind die Türme dieser Kirchen verstümmelt oder nur notdürftig umgestaltet worden. Besonders interessant erscheinen auch Rekonstruktionspläne für die mittelalterliche Residenz mit der Burgkirche, einem fantasievollen gotischen Zentralbau auf der Oderinsel.

Höhepunkt barocker Planungen ist der geniale Gesamtentwurf zur Jesuitenresidenz, dem barocken Kollegium des Jesuitenordens, und späteren Universität. Krönung der Stadtsilhouette wäre der über hundertzehn Meter hohe Matthiasturm, der an Stelle des alten gleichnamigen Stadttores an der Oder errichtet werden sollte, flankiert von zwei Kuppeltürmen, von denen allein nur einer vereinfacht abgeschlossen wurde, da die Preußen nach 1742 kein Interesse mehr hatten, den habsburgischen Katholikenbau zu vollenden. Möglicherweise ließe der Zusammenhang zur Planung einer neuen Universität um 1900 an eine Vollendung denken. Neben dem Rathaus und der viel späteren Jahrhunderthalle von Max Berg wäre diese Universität das auffälligste Wahrzeichen der Stadt geworden. Da Breslau nach dem Siebenjährigen Krieg Nebenresidenz der Hohenzollern wurde und das Stadtschloss für spätere Bedürfnisse ziemlich bescheiden ausfiel, wird hier ein neubarocker Entwurf aus einem Berliner Schinkelwettbewerb herangezogen, der vortrefflich geeignet wäre auf dem Gelände an dem Schlossplatz um 1910 zur Ausführung zu gelangen.

Das Neue Breslau

Gebaut wurde 1913 die revolutionäre Jahrhunderthalle als elegante Spannbetonkonstruktion, die größte Massivkuppel der Welt. Der Bau bildet den Mittelpunkt eines Messe- und Veranstaltungsgeländes im Südosten der Stadt. Ab Ende des 1. Weltkrieges vollzog sich ein rascher Sinneswandel von der behäbigen Odermetropole im Osten hin zur dynamischen Stadt des 20. Jahrhunderts. In kaum einer deutschen Stadt gab es so konsequente Ideen einiger Hochhäuser in bewusster Abstimmung zum gesamten alten Stadtbild. Sinnbildlich für das Hochhausfieber jener Jahre steht aber auch der progressive Entwurf für ein großes Hochhaus am historisch wertvollen Ring direkt neben dem berühmten Rathaus. Der etwa 100 Meter messende Hochbau provoziert als neue Stadtkrone im alten Umfeld. So faszinierend und ebenso zurecht umstritten dieser Bau am Ring war, so sinnvoll wären einige markante Hochbauten als neue Dominanten nahe dem Oderufer im Weichbild eines wachsenden Breslaus des 20. Jahrhunderts. So war etwa ein Universitätsviertel auf der Insel Bürgerwerder denkbar, oder eine Technische Hochschulstadt südlich der Dominsel, aber insbesondere hervorzuheben wäre ein neuer Rathausbau direkt an der Kaiserbrücke. Dieses Technische Rathaus erscheint hier in Anlehnung an Entwürfe Max Bergs mit markantem Staffelgiebel. Trotz großer Euphorie fielen all diese Ideen den unsicheren, finanzschwachen Zwischenkriegsjahren zum Opfer. Breslau wurde keine echte Hochhausstadt.